Das Schneechaos hat sich vor allem wegen den 82 umgestürzten Strommasten ins kollektive Gedächtnis der Bevölkerung im Münsterland gebrannt. In diesem Artikel erfahren Sie, wieso die Strommasten umgeknickt sind und welche Regionen davon besonders betroffen waren.
Starten wir mit ein paar allgemeinen Begriffen, die immer wieder im folgenden Text sowie auf dieser Homepage verwendet werden. Ähnlich wie bei Autobahnen haben auch die einzelnen Stromtrassen eine eindeutige Nummerierung (BL, Bauleitnummer). Innerhalb dieser Trassen sind die Freileitungsmasten dann der Reihe nach durchnummeriert (jeder Mast hat ein entsprechendes Schild, wo die BL und Mastnummer draufsteht).
Bei den Strommasten selbst unterscheidet man noch zwischen Tragmasten und Abspannmasten. Die Tragmasten dienen nur als Halterung für die Seile, während die Abspannmasten z.B. dann benutzt werden, wenn die Trassenführung in eine andere Richtung verläuft oder das Stromkabel auf der einen Seite des Mastes endet und auf der anderen Seite dann ein neues Kabel fortgeführt wird. Abspannmasten sind i.d.R. stabiler gebaut als Tragmasten, da diese höhere Zugkräfte verkraften müssen.
Fangen wir mit einer Übersicht über die aufgetretenen Schäden im 110 kV-Netz der RWE an. Die folgende Tabelle gibt die Schäden an den Freileitungsmasten in chronologischer Reihenfolge wieder.
Trasse (BL)
Störfall eingetreten am
Baujahr
Umfang der Schäden
Karte
BL 1536
Gronau - Metelen
25.11.2005
17:35 Uhr
1951
(2000/2004)
Mast 17 bis 20, 22 bis 37 und 39 bis 60
34 Tragmasten (Baujahr 1951)
2 Tragmasten (Baujahr 2000 und 2004)
6 Abspannmasten
Schaut man sich die betroffenen Gebiete auf einer Karte an, so zeigt sich, dass nur die Leitungsabschnitte durch beschädigte oder umgeknickte Strommasten betroffenen waren, die senkrecht zur vorherrschenden Windrichtung vom 25. Novemeber 2005 lagen. Auf der folgenden Karte kann man dies sehr gut erkennen:
Die Temperaturen lagen um 0°C, teilweise auch leicht im Plusbereich. Dadurch war der Schnee sehr naß und schwer. Die zwei folgenden Flash-Animationen zeigen das Verhältnis von Temperatur und der Beschaffenheit des Schnees. Je wärmer es wird, desto stärker schmelzen die Spitzen der Eiskristalle und desto mehr Wassermoleküle können sich einnisten (=höheres Gewicht). Die rechte Grafik zeigt das Gewichtsverhältnis von Pulverschnee und Naßschnee. Die folgenden zwei Grafiken wurden freundlicherweise von KI-SMILE zur Verfügung gestellt.
Bewegen Sie den Mauszeiger über das Thermometer.
Klicken Sie mit der Maus auf "schmelzen".
Der naße und feuchte Schnee klebte besonders gut an den Stromleitungen fest. Verstärkt wurde dieser Effekt noch durch den stürmischen Wind, der im Münsterland bei Windstärke 7 (50 bis 61 km/h) und in Spitzen bis Windstärke 8 (62 bis 74 km/h) lag, die mittlere Geschwindigkeit wurde vom DWD mit 10 m/s (36 km/h) angegeben. Durch den Wind hatten die Schneeflocken eine höhere Aufprallgeschwindigkeit auf die Stromleitungen, was zu einer "mechanischen Verdichtung" der Ablagerungen führte.
Durch diesen Effekt bildete sich eine Schnee- und Eisschicht von bis zu 20 cm Durchmesser (inklusive Leiter) um die Stromleitungen herum (siehe linkes Bild). Der Wind hatte dadurch eine größere Angriffsfläche und die Stromleitungen begannen, hin- und herzuschaukeln ("Seiltanzen"). Wenn sich benachbarte Stromleitungen dabei berührten, kam es zu einen Kurzschluß, der sich z.B. als kurzes Lichtflackern in den Haushalten und Büros bemerkbar machte.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat im Auftrag der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) ein amtliches Gutachten angefertigt. Ziel des Gutachten war es, die Schneedichte und die daraus resultierende Schnee- und Eislast zu bestimmen. Der DWD kam dabei auf einen Wert von 5,2 kg/m ± 2,3 kg/m. Die Eislast an den Stromseilen betrug also zwischen 2,9 kg/m und 7,5 kg/m. Die Bandbreite der Werte resultiert u.a. aus unterschiedlichen meteorologischen und geografischen Bedingungen innerhalb des Münsterlandes.
Gehen wir für eine einfache theoretische Berechnung mal von einer angenommenen Eislast von 4 kg/m aus. Der Abstand zwischen zwei Strommasten im 110 kV-Netz beträgt etwa 300 m. Davon ausgehend, dass der komplette Leiter durchgehend gleichmäßig vereist ist, kommt man so auf einen Wert von 1200 kg zusätzlicher Last. Bildlich gesprochen könnte man auch sagen, dass ein Kleinwagen an das Kabel gehängt wurde. Übertragen wir den Wert auf den ganzen Strommast, so ergibt sich bei sechs Stromleitungen mit angenommener gleichmäßiger Schneelast ein Wert von 7200 kg (bzw. sechs Kleinwagen), der an dem Strommasten zieht. Durch den Wind und dem daraus resultierendem Seiltanzen trat dann noch eine zusätzliche Belastung auf.
So schöngerechnet, wie im obigen Beispiel, stellte sich die Situation freilich nicht immer da. So konnte bei einigen Mastumbrüchen beobachtet werden, dass die Leiterseile ungleichmäßig vereist waren (siehe Bild oben) und dadurch eine starke Torsion (Verdrehung) auf den Masts ausgeübt wurde. Die Masten 10 und 22 der BL 1525 sind z.B. erst beim Abschlagen der Eiswalzen tordiert worden, da eine plötzliche einseitge Belastung aufgetreten war.
Dennoch zeigen die Zahlen ganz eindrucksvoll, welche Kräfte hier am Werk waren. Materialermüdung (Stichwort "Thomasstahl"), Korrison sowie mangelhafte Wartung der Strommasten seitens des Netzbetreibers wurden in einem amtlichen Gutachten der Bundesnetzagentur als Ursache ausgeschlossen. Vom Umsturz waren sowohl Masten älterer Bauart als auch Masten, die gerade mal 15 Jahre alt waren, betroffen (siehe obige Tabelle). Eine Kombination aus
- anhaltenden Schneefall bei Temperaturen um 0°C (hohes Eigengewicht vom Schnee)
- Wind über mehrere Stunden aus konstanter Richtung
- dadurch (ungleichmäßige) Vereisung der Leiterseile sowie
- Seiltanzen und in sich drehbare Leiterseile
sorgte für eine sehr starke Belastung der Strommasten, die weit über den gesetzlichen Richtlinien lag. Ein Zusammentreffen all dieser Punkte ist statistisch gesehen recht selten, aber halt nicht ganz auszuschließen.